Bettina Brokemper (2021)

Wegbereiterin radikaler Kinovisionen

Ein Fuchs, der sich mitten im Wald selbst zerfleischt. „Chaos herrscht“, proklamiert das Tier mit blutverschmiertem Maul. Zurück bleibt ein Mann, der die Welt nicht mehr zu verstehen scheint. Der Fuchs als klassische Sagenfigur wird zum Mahner des aus den Fugen geratenen Verhältnisses von Mensch und Natur.

Szenen wie diese aus Lars von Triers düsterem Märchen ›Antichrist‹ (2009) stehen emblematisch für die Art von Film, die die Kölner Produzentin Bettina Brokemper protegiert. Sie will gute Geschichten von kultureller und gesellschaftlicher Relevanz erzählen. Brokempers Projekte nehmen das Wesentliche in den Fokus und konzentrieren sich allein auf das Medium und dessen transformative Qualitäten. Sie eröffnen Perspektiven, rücken das Ungesehene in den Blick und spüren der scheinbar utopisch anmutenden Frage nach, wie man eine bessere Gesellschaft nicht nur finden, sondern auch leben kann. Das Kino als Ort, an dem Filmkultur gelebt wird, nimmt für Brokempers Philosophie eine zentrale Stellung ein: „Kino ist für mich ein Ort des Träumens, des Erzählens, der modernen Märchen. Ein Raum, um einfach loszulassen, aus der Realität auszusteigen und irgendwo anders hinzugehen. Vielleicht wieder in eine Realität, die sehr hart ist, aber nicht in die eigene.“

In ihrer Tätigkeit als Produzentin positioniert sie sich für eine Filmkunst fernab gefälliger Arthouse-Trends, die sich auch traut, dem Publikum etwas abzuverlangen. Seit 2001 fungiert Bettina Brokemper als Geschäftsführerin der Zentropa Köln GmbH, dem deutschen Ableger der von Lars von Trier und Peter Aalbæk Jensen gegründeten dänischen Produktionsfirma. Seit ›Dogville‹ (2003) wirkt sie als Ko-Produzentin an sämtlichen Lars-von-Trier-Filmen mit. Eine besondere Bedeutung in ihrer Zusammenarbeit mit Lars von Trier nimmt dabei neben dem Horrorfilm ›Antichrist‹ der Zweiteiler ›Nymphomaniac‹ (2013) ein, der genau wie ›Antichrist‹ auch auf Brokempers Bestreben hin in ihrer Heimatregion Nordrhein-Westfalen gedreht wurde.

Für wagemutigen Film mit einer eigenen Handschrift, der klassische Sehgewohnheiten durchbricht und radikal das Gesetzte hinterfragt, stehen auch die Werke ihrer eigenen in Köln ansässigen Produktionsfirma Heimatfilm. Brokemper gründete sie 2003 mit Helmut Hartl und Stefan Telegdy. Bereits die erste Heimatfilm-Produktion, ›Falscher Bekenner‹ (2005), unter der Regie von Christoph Hochhäusler, wurde zu einem umfassenden Erfolg. Der Film erhielt eine Einladung in die Sektion Un Certain Regard, der wichtigsten Nebenreihe der Filmfestspiele von Cannes, und wurde vom internationalen Presse- und Fachpublikum als einer der besten deutschen Filme der letzten Jahre bezeichnet. Für die Herstellung des Films verwendete Brokemper ihren Existenzgründungskredit, Geld, das nur für die Anschaffung von Büromaterial vorgesehen war. Leidenschaft, Kompromisslosigkeit und Pragmatismus müssen kein Gegensatz sein – Bettina Brokemper macht es vor.

Seither haben sich Bettina Brokemper und Heimatfilm als wichtige Akteure der europäischen Filmbranche etabliert. Das Beziehungsdrama ›Gegenüber‹ (2007) von Jan Bonny, Semih Kaplanoğlus Berlinale-Gewinner ›Bal – Honig‹ (2010), Margarethe von Trottas eindrückliches Porträt ›Hannah Arendt‹ (2012) und Bonnys Locarno-Wettbewerbsbeitrag ›Wintermärchen‹ (2018) führen den nationalen wie internationalen Erfolgskurs fort und zeigen die thematische Bandbreite, mit der Brokemper agiert. Bei aller Internationalität unterstreicht die Rheinländerin immer wieder die Bedeutung, die der Standort Köln für ihre Arbeit und für sie als Mensch hat. Und auch die Stadt Köln weiß ihre Arbeit zu schätzen: Sie wurde als eine der erfolgreichsten Produzentinnen Europas mit dem Kölner Kunstpreis 2013 geehrt. Brokemper setzt auf Green Shooting, Gleichberechtigung der Geschlechter, die Förderung der Projekte von Regisseurinnen und möchte, dass Filme unabhängig vom Geschlecht der Filmschaffenden gesehen und bewertet werden.

Ihr Wirken zeichnet Bettina Brokemper als eine der prägnantesten Stimmen innerhalb der europäischen Filmbranche aus. Das IFFMH ehrt sie im Rahmen seiner 70. Ausgabe mit einer Hommage und freut sich darauf, sie in der Metropolregion begrüßen zu dürfen.

© Martin Menke