Heidelberger Kunstverein

Städte als Erlebnisräume

Auch in diesem Jahr ist die Ausstellung im Heidelberger Kunstverein einem aktuellen Thema gewidmet: Städten als Lebensräumen und als Räumen des Zusammenlebens. Städte sind Seismografen des gesellschaftlichen Lebens und seiner vielfältigen Ausformungen. In Zeiten des Umbruchs werden sie zum Schauplatz gesellschaftlicher Umwälzungen.

Internationale Künstler*innen verschiedener Generationen nehmen unterschiedliche Städte in den Blick und zeichnen sie meist aus der Sicht der sich darin bewegenden Körper. Sie thematisieren Städte als Orte politischer Auseinandersetzung, als Räume kultureller Diversität, auch im Hinblick auf Rassismus, Klasse und Geschlecht. Sie zeigen Städte unter den Bedingungen von Katastrophen und zunehmender Gewalt. Sie untersuchen Städte auf verdeckte Erinnerungsschichten und die Auswirkungen digitalen Wandels.

Doch die Ausstellung will nicht nur Erlebnisraum, sondern auch Ort des Austauschs mit Bewohner*innen der Stadt sein. Zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Heidelberg lädt der Heidelberger Kunstverein zu mehreren ›Tafelrunden‹ ein: Beim gemeinsamen Essen in der Ausstellung geben Fachleute mit Impulsvorträgen den Anstoß, die Themen im Anschluss zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

Filmprogramm kuratiert von Maya Schweizer und Ursula Schöndeling.

Großzügig gefördert durch das BASF Programm Tor 4, die Stiftung Kunstfonds, die Stadt Heidelberg, das Land Baden-Württemberg.

Die Filmprojekte in der Übersicht:

© VG Bild-Kunst, Bonn

Clemens von Wedemeyers simuliert in ›70.001‹ (2019, 16 min) die Montagsdemonstrationen 1989/90 im virtuellen Leipzig von heute. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ forderten damals Demonstrant*innen Freiheitsrechte in der DDR. Die Parole und das Narrativ der Montagsdemonstrationen werden bis heute von diversen politischen Protestbewegungen für ihre Zwecke vereinnahmt. In ›70.001‹ besteht die Masse der Demonstrierenden aus sogenannten digitalen Agenten, deren Anzahl durch Algorithmen kontinuierlich zunimmt. Begleitet wird die Animation von Original-Tonspuren aus Interviews mit Zeitzeugen. Als zeitgenössische Reflexion untersucht der Film die Darstellung und Bildung von Gruppen, die Macht der Masse und die Kontrolle von Menschen durch Algorithmen.

© Johanna Billing

Für ›In Purple‹ (2019, 12 min) entwickelt Johanna Billing zusammen mit einer Gruppe von Tänzerinnen aus dem schwedischen Råslätt einen choreografierten Gang durch die Vorortsiedlung, in der sie selbst aufwuchs. Råslätt entstand im Zuge eines großangelegten Bauprogramms in den 1970er-Jahren. Dort dominieren Sportplätze für männlich konnotierte Sportarten den öffentlichen Raum. Die jungen Tänzerinnen gehören einer über jahrzehntelang ehrenamtlich betriebenen Tanzschule an, die in Reaktion auf den Mangel an Freizeitangeboten für junge Frauen von Anwohner*innen in einem Keller gegründet wurde. Die im Außenraum gefilmte Choreographie zeigt die Frauen beim Tragen von farbig getönten Glasplatten. Die Fragilität und Unhandlichkeit der Platten und der Umgang mit ihnen wird zum Sinnbild einer gemeinsamen Aktion.

© Loretta Fahrenholz

Loretta Fahrenholz›Ditch Plains‹ (2013, 30 min) wurde etwa zur Zeit des Hurricane Sandy in New York gedreht. Der Film stellt dokumentarische Aufnahmen der Naturkatastrophe aus dem Stadtteil Far Rockaway einer Reihe von Szenen gegenüber, die die Künstlerin in Brooklyn mit der New Yorker Street Dance Crew „Ringmasters“ entwickelte. Während die Aufnahmen aus dem Katastrophengebiet die realen Ausnahmezustände beschreibt, improvisieren die Tänzer in nächtlichen Straßen, Hotelfluren und einem noblen ApartmentSequenzen, die an Razzia- und Durchsuchungsaktionen sowie an bedrohliche Mensch-Maschine-Interfaces denken lassen. Die Tanzszenen entstanden im direkten Dialog mit der Kameratechnik. Verzerrungen oder Geschwindigkeitsänderungen sind nicht etwa Resultat der Nachbearbeitung, sondern des Tanzstils „Bonebreaking“ / „Flexing“. Die charakteristischen Performances bestehen aus Bewegungen, die digitale Abläufe zu buchstabieren scheinen. ›Ditch Plains‹ bedient sich damit einer Fülle von Zitationen von Katastrophenfilm und Streetdance Battle bis zu virtuellen Computerspielen, die mit realen Erfahrungen in einer Zeit der dauerhaften Krise verbunden werden.

© MAYA SCHWEIZER / VG BILD-KUNST, BONN

Maya Schweizers ›Voice and Shells‹ (2020, 18 min) ist eine filmische Erkundung der Spuren des Nationalsozialismus in München. Die Collage aus Found Footage und selbst gedrehtem Filmmaterial navigiert zwischen historischen Zitaten, Spurensuche und Stadtgeschichte. Ausgehend vom Kanalsystem zeigt Schweizer Fassaden zentraler NS–Bauten wie das Haus der Kunst oder die Feldherrnhalle. Das Motiv der Treppenspirale hält die bildliche Assoziationskette zusammen und wird zum kinematografischen Objekt, das Innen- mit Außensicht in einen Dialog setzt. ›Voice and Shells‹ verknüpft Räume und Zeiten, um (immaterielle) Geschichte und die Fragilität von Erinnerungen sichtbar zu machen.